Demokratie und Grundgesetz: Grundrecht aller Bürger

Für den Lesefluss verbleibe ich bei der aktuellen Schreibweise der Substantive und verweigere mich der Gerundisierung der deutschen Schriftsprache
Liebe Mitbürger,
wer kennt ihn nicht, den Art9, Abs3 Grundgesetz? Und das dazu passende Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 12. September 1984 – 1 AZR 342/83?
Da die Allermeisten, auch ich, so fest auf dem Grundgesetz stehen, dass wir nicht einmal reinschauen können, zitiere ich den erwähnten Artikel:
Art 9, Abs 3 GG
- Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.
Was folgt daraus? Wir, die Lohnabhängigen, dürfen uns zu Gewerkschaften zusammenschließen, die, stellvertretend für uns, die Arbeitsbedingungen für uns Beschäftigte und unseren Lohn oder Gehalt mit den Vertretern unserer Arbeitgeber aushandeln. Welche Bedingungen ohne das Vorhandensein der Gewerkschaften gelten, sehen wir dann bei einem Blick in das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) und das Bundesurlaubsgesetz (BurlG) werfen. Unter anderem bis zu 48 Wochenstunden, verteilt auf sechs Tage bei ganzen 24 Tagen Urlaub. Das Gehalt orientiert sich am branchenüblichen Mindestlohn.
Was schreibt der da schon wieder? Mein Betrieb ist in keinem Arbeitgeberverband und trotzdem bekomme ich Bedingungen, die einem Tarifvertrag ähnlich sind! Stimmt, aber eine Frage ist gestattet. Würde ihr Arbeitgeber überhaupt Personal finden, wenn er nur die gesetzlichen Mindestanforderungen für Arbeitszeiten und Bezahlung halten würde? Mit aller Wahrscheinlichkeit könnte er seinen Betrieb wegen Personalmangel schließen. Also wirken auch in diesen Betrieben die Gewerkschaften.
Das jüngste Geschrei, das auch etablierte Parteien erheben, lautet: Streikrecht unbedingt ja, aber nicht in für die Bevölkerung sensiblen Bereichen und in kritischer Infrastruktur. Was bedeutet das für uns lohn- und gehaltsabhängig Beschäftigte? Keine Möglichkeit eines Arbeitskampfes im öffentlichen Dienst. Kein Streik mehr in Kitas, Schulen, Krankenhäusern, Verwaltungen des Bundes, der Länder und Kommunen mehr. Keine Streiks bei Dienstleistern und den Angestellten in Behörden, keine Streiks bei Bahn und Flugplätzen. Paradiesische Zeiten, da endlich wieder alles reibungslos läuft. Aber Moment! Rund die Hälfte aller in Deutschland Beschäftigten sind dann eines Grundrechtes beraubt! Und sind dann alle anderen Betriebe nicht auch kritische Infrastruktur? Die chemische Industrie, die Autoproduzenten, die Mineralölindustrie, der Schiffbau, die Wehrtechnik? Ja sogar die Lebensmittelindustrie ist dann kritische Infrastruktur! Mit dem Traktor zur Demo rollen, kann dann auch schon als staatsgefährdend eingestuft werden. Dann haben wir es wieder einmal geschafft, was nur Deutsche können. Wir schaffen auf demokratischem Weg die Demokratie ab. Applaus!!! Und Nachahmer davon gibt es inzwischen auf der ganzen Welt. Wir sollten als Staat Lizenzgebühren erheben, wenn durch Demokratie eine Diktatur eingerichtet wird. Dies würde die schwarze Null der vorgeblich liberalen Partei sichern.
Das wissen sogar die Politiker der „Christlichen Mitte“, dass ihre Forderungen hohles Geklingel sind und per Eilantrag durch das Bundesverfassungsgericht gekippt werden. Dazu fällt mir, natürlich nur der gebürtige Augsburger Bert Brecht ein, der einst Folgendes sinngemäß sagte: „Wer die Wahrheit nicht kennt, ist nur ein Dummkopf. Wer sie aber kennt und sie eine Lüge nennt, ist ein Verbrecher.“ Offenkundig Blödsinn zu erzählen, in der Hoffnung, einer rechtsextremen Partei ein paar Stimmen abzujagen, kann nicht gut ausgehen. Der eine Teil der Bürger durchschaut das billige Manöver, ein anderer Teil der Bürger fühlt sich in seiner Vermutung, dass nur neue Parteien helfen, bestätigt, und ein weiterer Teil von Bürgern wendet sich mit Grausen vom Spektakel der politischen Eitelkeiten ab.
Und mal ganz ehrlich: Wie viele von uns hatten in den Jahren 2022 – jetzt persönlich unzumutbare Beeinträchtigungen durch Streiks? Ja, die eine oder andere Kita hatte geschlossen und Kinder mussten in der Notbetreuung untergebracht werden oder aber man entschied sich für „Kind krank“? Der eine oder andere Zug oder Flug fiel aus. Aber mal ehrlich: Wie oft war Jedermann von uns direkt und dauernd von einem Streik betroffen?
Vielleicht geht es Ihnen so wie mir: Stundenlange Verspätungen gibt es bei der Bahn durch zu wenig Personal in Zügen und Werkstätten. Dazu die maroden Verkehrswege (Schiene und Straße) und Transportmittel (Züge), die sowohl hier wie da einem zügigen Vorwärtskommen im Wege stehen. Jede Menge freie Stellen im sozialen Bereich. Alle, wirklich alle sozialen Bereiche, von der Wiege bis zur Bahre, leiden unter einem gewaltigen Personalmangel.
Beispiel gefällig? Knapp 30% aller Betreuungsplätze in noch betriebenen Seniorenheimen sind nicht belegt, da für die Betreuung kein Personal vorhanden ist. Warum wohl? Für mich als Gewerkschafter ist es klar: Gesetzlicher Mindestlohn statt fairer tariflicher Entlohnung und dazu noch das miese gesellschaftliche Ansehen des Berufsstandes.
Der spinnt, der lügt, der Typ hat sie nicht mehr alle. Das denken Sie jetzt gerade. Nach über 43 Jahren in der Pflege weiß ich allerdings, wie das wirkliche Leben in diesem Teil der sozialen Dienste aussieht.
Fazit meiner Ausführungen:
Schauen Sie mal genau hin, ob Sie wirklich von irgendwelchen Streikmaßnahmen betroffen sind. Staus durch Reparaturen an Straße und Schiene sind kein Streik. Funktioniert, wie im öffentlichen Dienst, der neben dem Streik von den Gewerkschaften eingerichtete Notdienst? Dazu zählt auch die Notbetreuung in Krippen und Kindergärten. Usw. usw.
Lassen sie sich nicht durch „Nepper, Schlepper, Bauernfänger“ vor einen fragwürdigen politischen Karren spannen, damit diese Kreise sich an der „rechten“ Politik anbiedern können.
Auch echte konservative Menschen sind Demokraten, da sie, ebenso wie wir „Linke“, die persönliche und politische Freiheit und die Meinungsfreiheit so hoch einschätzen, dass sie uns allen verteidigungswert erscheint.
Ich wünsche euch Allen einen schönen Sommer und nicht vergessen: Nie wieder ist jetzt.
Persönliche Meinung von
Hans-J. Riechert