Im November denken wir traditionell an die Toten. Der Volkstrauertag lenkt den Blick auf die Opfer von Krieg und Gewalt. Brauchen wir einen solchen stillen Feiertag? Noch vor zwei Jahren war diese Frage durchaus umstritten.

In diesem November tobten zwei Kriege vor Europas Haustür, und die Antwort ergibt sich von selbst: Ja, wir brauchen diesen Feiertag. Wir müssen innehalten angesichts der schweren kriegerischen Konflikte, die unsere Welt und unsere Weltsicht erschüttern. Wir müssen auf Krieg, Gewalt und Terror reagieren und uns fragen, was wir für Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit tun können – hier bei uns, aber auch weltweit.

Vor 22 Monaten, am 24. Februar 2022, hat Russland den Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen. Wir alle waren damals fassungslos. Seit nunmehr über 650 Tagen wird die Ukraine angegriffen, beschossen und bombardiert – und verteidigt sich. Mehr als 6 Millionen Geflüchtete aus der Ukraine haben sich seither in den Ländern Europas registriert, die meisten davon in Polen und Deutschland. Jede/-r Einzelne trägt einen schweren Bruch in seinem Leben mit sich, vermisst seine Heimat, seine Familie und Menschen aus dem Freundeskreis, aus der Nachbarschaft, aus der Schule oder Arbeit.

Am 7. Oktober hat der Nahostkonflikt eine neue Eskalationsstufe erreicht. Die radikalislamische Terrorgruppe Hamas hat vom Gazastreifen aus Israel mit Raketen beschossen. Dabei wurden fast 1.500 Menschen getötet und rund 3.000 verletzt. Der Vergeltungsschlag Israels bringt rund 1 Million Menschen im Gaza-Streifen in große Not, die Versorgungslage ist dramatisch. In einer kurzen Feuerpause wurden Geiseln ausgetauscht. Doch vom Frieden ist die Region weit entfernt.

Was in der Ukraine, in Israel und in vielen weniger beachteten Konflikten geschieht, geht uns alle an: Wir sind Europäerinnen und Europäer und wir stehen für die grundlegenden Werte, die Menschenrechte und die Demokratie ein. Gewalt hinterlässt tiefe Spuren in den Menschen und setzt sich über Generationen fort. Und es ist unsere Aufgabe, diese Kette zu unterbrechen und uns aktiv für den Frieden einzusetzen.

Es hat mich tief getroffen, dass die Flüchtlingsunterkunft in Wittorf durch Brandstiftung zerstört wurde. Wo Menschen Schutz vor Krieg und Gewalt finden sollten, haben offenbar Hass und Zerstörungswut zugeschlagen. Der Landkreis Lüneburg zeigt sich solidarisch mit der Samtgemeinde Bardowick und hat eine andere Unterkunft angeboten.

Wie können wir solche Taten in Zukunft verhindern? Ich wünsche mir einen offenen Dialog, wenn Menschen in Sorge sind, weil in ihrer Nähe eine Flüchtlingsunterkunft entsteht oder Geflüchtete untergebracht werden. Ich bin sicher, dass es passende Lösungsansätze in den Rathäusern genauso wie in der Kreisverwaltung gibt.

Und ich wünsche mir Einfühlungsvermögen für die Menschen, die als Geflüchtete zu uns kommen und hier einen sicheren Hafen suchen. Denken wir an ihre Geschichten, an Gewalt, an Krieg, an schlimme Erlebnisse und schwierige Lebensverhältnisse, die ihnen unverschuldet widerfahren sind. Die haben sich auf den Weg gemacht und ihre Heimatländer verlassen, um hier Hoffnung zu finden.

Jeden Tag sterben auf unserer Welt unschuldige Menschen und unendliches Leid bricht über Kinder, Frauen und Männer ein. Jedes einzelne Todesopfer ist eines zu viel. Jeder Mensch, der zu Hause nicht mehr sicher ist und sich für die Flucht entscheiden muss, ist einer zu viel.

Der Volkstrauertag ist ein Zeichen der Anteilnahme und Solidarität an die Opfer und Leidtragenden von Krieg und Gewalt und erinnert uns immer wieder daran, dass wir für Frieden und Freiheit einstehen müssen.

Brigitte Mertz