Vor einigen Wochen konnten wir 75 Jahre Grundgesetz feiern und auch schon im 45. Jahr erneut das Europaparlament wählen.

Diese zwei starken Säulen unserer Demokratie haben die Geschichte Deutschlands und Mitteleuropas nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend (mit-)geprägt. Das aktuelle Aufkommen von Extremisten, die einen nie dagewesenen Erfolg feiern, ist die größte Gefährdung für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung seit Jahrzehnten. 

Was mich am meisten schockiert, ist der große Zuspruch in der Wählerschaft, obwohl jede und jeder mittlerweile schon mitbekommen haben dürfte, auf welche historischen Vorbilder viele ihrer Hauptakteure sich allzu gern berufen, um unsere Demokratie vorzuführen und die Spanne des Öffentlich-Sagbaren mit Begriffen aus der Nazizeit auszuweiten.

Natürlich hatten wir immer mal heruntergerissene Wahlplakate, Pöbeleien an Infoständen, in den gar nicht so sozialen Netzwerken Bedrohungen, Drohungen per Post oder per Mail – aber nie in diesem Ausmaß wie aktuell.

Der demokratische Grundkonsens, an den sich die politischen Parteien in der Nachkriegszeit weitgehend gehalten haben, wird bewusst aufgekündigt. Selbst körperliche Gewaltanwendung scheint kein Tabu mehr zu sein. Anstelle der unbequemen verbalen Diskussion, für die die aktuellen extremistischen Kräfte ohne belastbare Faktenbasis ohnehin nicht gut gerüstet wären, tritt immer öfter die spontane Schlägerei.

Wir hätten es uns nie träumen lassen, in welchem Ausmaß die ehrenamtlichen Helfenden und Mandatsträger*innen der demokratischen Parteien in der Öffentlichkeit, bei Infoständen, beim Plakatieren oder bei Veranstaltungen mit verbaler und körperlicher Gewalt konfrontiert würden. 

Unmittelbar vor der Europawahl ist jetzt noch eine neue Gefährdung unseres demokratischen Zusammenlebens dazugekommen: mehrere Abgeordnete, Kandidierende und ihre Mitarbeitenden werden verdächtigt, für ein fremdes Land Informationen gesammelt, unseren öffentlichen Diskurs zugunsten dieser Länder beeinflusst zu haben und dafür auch noch bezahlt worden zu sein. 

Dabei handelt es sich ausgerechnet mit Russland und China um Länder, die unsere Demokratie und Wirtschaft gezielt bedrohen und ein autoritäres Gesellschaftsmodell ohne Opposition, Presse- und Meinungsfreiheit vertreten. Da verursacht es schon Übelkeit, wenn gerade diejenigen, die in der Öffentlichkeit vorgeben, sich für eine positive Rückbesinnung auf unsere angeblichen nationalen Werte einzusetzen, in Wirklichkeit nur ihren finanziellen persönlichen Vorteil sehen und die Bekämpfung ungeliebter Meinungsvielfalt verfolgen.

Niemand wird bestreiten, dass unsere Demokratie nicht perfekt ist und dass der politische Wettstreit um die besten Konzepte auf wissenschaftlich belegter Faktenbasis leider fast unvermeidlich zu einer immer stärkeren Regelungsdichte mit nicht immer bürgerfreundlicher Bürokratie führt. 

Als Protest dagegen, quasi als „Denkzettel“, Demokratiefeinde zu wählen, war allenfalls kurzzeitig als Weckruf für die Demokrat*innen zu akzeptieren. Seitdem die parlamentarischen Parlamentsgegner*innen ihre Maske mehr und mehr fallen gelassen haben und die zunehmend unter Extremismusverdacht stehenden Parteien ihre letzten übriggebliebenen Reformwilligen verlieren, appelliere ich an alle Bürgerinnen und Bürger, sich aktiv bei Wahlen, in Bürgerinitiativen, Petitionen, Leserbriefen und in den demokratischen Parteien einzubringen, anstatt den Populist*innen nach dem Mund zu reden.

Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass auch in weiteren 75 Jahren unser Grundgesetz Bestand hat und ebenso gefeiert und hochgehalten wird wie heute – und das möglichst von allen.

Ihr

Jakob Blankenburg MdB